Der Herr der Diebe war in der Turnhalle!

Erstellt von Rapp |

Dass es oft anders ist, als es scheint und dass das nicht immer ein Nachteil sein muss, zeigte uns die Unter- und Mittelstufen Theater AG am Samstag, den 06.07. in der Turnhalle.

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Die Inszenierung von Cornelia Funkes Kinderbuch „Herr der Diebe“ verzauberte das Publikum von Anfang an. Die beiden eleganten Damen, die sich in venezianischen Masken mit einem Fächer am Bühnenrand präsentierten, entführten die Zuschauer als stumme Elemente in das Venedig einer unbestimmbaren Zeit und bildeten gleichzeitig einen großen Kontrast zu dem liebenswerten und pfiffigen, aber manchmal etwas chaotischen Detektiv Viktor, den Julia Paulini in all seinen Facetten mit viel Spielfreude und Liebe zum Detail darstellte. Ihre Art die Rolle zu interpretieren machte den Detektiv zur heimlichen Hauptfigur des Stückes.

Seine Aufgabe ist es im Auftrag von Esther Hartlieb, Prosper und Bo, die Kinder ihrer verstorben Schwester, zu finden. Zunächst scheint er auf der Seite der Hartliebs zu sein und beschattet in verschiedenen komödiantischen Szenen die Kinder, aber je näher er die herrische Tante kennenlernt, desto mehr schlägt er sich auf die Seite von Prosper und Bo – und das kann der Zuschauer bestens nachvollziehen, denn Theresa Steinhart interpretiert die zickige und biestige Tante so überzeugend, dass vermutlich jeder im Zuschauerraum hofft, dass diese Tante die Kinder nicht in die Finger bekommt.

Die eigentlichen Hauptfiguren sind aber die Straßenkinder, die der Räuberbande angehören. Neben den Ausreißern Prosper und Bo aus Deutschland besteht die Bande aus dem verfressenen und eher trägen Mosca, den Nisa Eren mit viel Charme und Witz auf die Bühne brachte, aus der cleveren Wespe, die Kyra Lutz mit viel Leben füllte und aus Riccio, gespielt von Alexia Tausch. Prosper ist der typische große Bruder, der auf der einen Seite immer kämpfen muss, um sich und seinen kleinen Bruder alleine durchzubringen und der auf der anderen Seite der liebevolle Beschützer ist, der sich um Bo kümmert. Diesen schauspielerischen Spagat schaffte Isabell Binkert. Scheinbar mühelos wechselte sie zwischen dem harten und dem weichen Prosper hin und her. Dadurch wirkt die facettenfreie Rolle besonders authentisch. Bo dagegen ist ein kleiner Lausbub. Mit der Darbietung der verschiedenen Streiche Bos gewann Debora Youssef nicht nur viele Lacher, sondern auch die Herzen der Zuschauer.

Die eigentliche Hauptfigur ist aber der „Herr der Diebe“, ein kleiner Junge, der auf der einen Seite der Held der Gruppe ist, da er das Diebesgut besorgt und alles für die Bande organisiert. Auf der anderen Seite stellt sich aber im Verlauf der Handlung heraus, dass Scopio vor allem eines ist: der Sohn seines strengen Vaters, der in einem reichen Haus lebt. Sein Doppelleben zwischen Räuberheld und machtlosem behütetem Sohn verkörperte Marie Neugebauer durch Körpersprache und Artikulation so überzeugend, dass der Figur niemand dafür böse sein konnte, dass er eigentlich seine einzigen Freunde aus der Räuberbande über seine wahre Identität belügt. Durch die schauspielerische Leistung konnte man richtig mitfühlen, warum er das andere Ich, den „Herrn der Diebe“, erfindet – nämlich um dem herrischen Vater (Lisa Jarinitsch) zu entfliehen, aus dessen Haushalt er auch das „Diebesgut“ entwendet.

Obwohl es ja eigentlich nie einen echten Einbruch gab, steht die Bande plötzlich vor einer großen Aufgabe: Sie bekommt von einem Conte den Auftrag, einen Flügel zu stehlen – kein Klavier, sondern den Flügel eines hölzernen Karusselllöwen. Da die Kinder auf der Straße leben, brauchen sie das von einem alten Mann dafür gebotene Geld. Dank der Ermittlungen des Detektivs erfahren die Kinder und auch die Zuschauer, welchen besonderen Wert der Flügel hat: Durch ihn wird ein uraltes Karussell vollständig, das dann wieder seine ursprüngliche Zauberkraft erhält und aus Erwachsenen Kinder macht und aus Kindern Erwachsene.

Der Conte leidet sichtbar unter dem Alter, was durch die überzeugende Darstellung des Alters durch Fabian Bell deutlich wird. Bei dem Einbruch erfahren die Kinder, dass die Frau, die sie zunächst mit dem Gewehr bedroht, eigentlich ein sehr netter, aber ziemlich einsamer Mensch ist, der alleine in einem viel zu großen Haus lebt und am Ende gerne die Kinder bei sich aufnimmt. Auch diese Rolle erfordert eine besondere Feinfühligkeit, da Ida Spavento eine raue Schale und einen weichen Kern hat. Dies setzte Ann-Carolin Repka sehr gelungen um. Im Verlauf der Handlung muss auch Barbarossa, der knallharte Hehler und Händler, erfahren, dass es Werte gibt, die wertvoller als Geld und Juwelen sind. Diese Erkenntnis machte Robert Hanewald für die Zuschauer erlebbar.

Nachdem der alte Mann zum Kind wurde und Scipio endlich durch eine Metamorphose zum Erwachsenen seinem fürchterlichen Vater entfliehen kann, geht das Karussell in Flammen auf. Als Erwachsener kann Scopio endlich Bo wieder aus den Fängen der Tante befreien und alles findet zu einem guten Ende.

Neben der Handlung und der schauspielerischen Leistung trug aber auch die Art der Inszenierung dazu bei, dass der Theaterabend für alle zu einem besonderen Erlebnis wurde: Neben der Hauptbühne wurde auch vor dem geschlossenen Vorhang gespielt, Schauspieler stürmten durch die Zuschauerreihen und eine Tür in der Turnhalle wurde zur Nebenbühne. Durch diese Tricks abgelenkt musste eine der jüngsten Zuschauerinnen eine harte Erfahrung machen und kommentierte das Geschehen mit: „Oh, jetzt habe ich da zur Tür geschaut und habe deswegen nicht gesehen, dass der gefesselte Detektiv entkommen konnte!“.

Die Fahrt mit dem Schiff über das wogende Meer zu einer Insel wurde überzeugend dargestellt – und erinnerte den einen oder anderen an die Filme von der Augsburger Puppenkiste. Dass der geflügelte Löwe auf dem Karussell dem Welfenlöwen und damit unserem Schullogo zum Verwechseln ähnlich sah, fiel wahrscheinlich nur wenigen auf und ausgesuchte Zuschauer verstehen wahrscheinlich, warum bei Barbarossa, der nur mit besonders wertvollen Sachen wie Juwelen und Gold handelt, der jüngste Roman von Joanne K. Rowling im Schaufenster liegt – und damit vielleicht der größte Schatz ist, den man für Geld bekommen kann.

Insgesamt eine rundum gelungene Vorstellung der Nachwuchsschauspieler des Gymnasiums, die viel mehr Publikum verdient hätte. Danke an den Regisseur Herrn Lanz und an seine Regieassistentin Carina Sonnenmoser aus der 10b, an Maike Müller aus der 10c und die Jungs von der Technik, Henning Klatt und Fabian Geiselhart. Die besondere Zusammenarbeit der Schüler mit ihrem Lehrer hat uns Zuschauern einen tollen Theaterabend beschert; für die Erwachsenen war es ein Abend, der die Frage aufwirft, wie das denn nun ist mit dem Schein und Sein, und für die Kinder war es ein Abend mit einer spannenden und humorvollen Räubergeschichte – und für die meisten Zuschauer war es beides!