Sie heißt „Konstanz“

Erstellt von Bösenberg |

und ist ein altes Arbeitstier. Fast vierzig Jahre fährt sie schon die gleiche Strecke hin und her. Sie nimmt uns mit in ihren Takt. Am wohlsten fühlt sie sich in voller Fahrt, mitten auf dem See, zu beiden Flanken offene Flächen, Weiten, Horizonte. Sie zeichnet eine schnurgerade Linie in das Wasser, nur kurz vor den Ufern fährt sie einen leichten Bogen. In den Häfen erleichtert sie sich zuverlässig von allen Fahrzeugen und Fahrgästen. Sie ist ein Übergangsraum, sie schenkt Zwischenzeit. Nur wir bleiben sitzen, uns wird sie heute so schnell nicht wieder los. Indem wir bleiben, wenn alle aussteigen, werden wir ein Teil von ihr. Ihr dunkles Vibrieren, ihr leichtes Schwanken ist auch das unsere. Das Klacken der Brücke, wenn die Fahrzeuge hinaus oder herein fahren, die leeren Bänke, der Bistro-Kellner, der dann Zeit für ein Gespräch und eine Zigarette hat. Der stolz auf den nimmermüden Kahn ist, den er seinen Arbeitsplatz nennen darf. Unsere Blicke finden für kurze Zeit feste Ziele. Können wir sie auf Papier bannen, bevor sie sich wieder in Bewegung setzt? Unser Strich wird schnell. Und schon geht es wieder los, zum anderen Anfang. Nun ist das Wasser dunkel und der Himmel hell, vorhin war es umgekehrt – nicht eine Fahrt in gleichem Licht. Woran bleibt er hängen, unser Blick? An Farben, Strukturen, Formen oder Fluchten? An Nahem oder Fernem? Wolken, Wasser, Landstreifen, Menschen oder Segelbooten? Was wollen wir sehen, was sieht uns? Das Schiff jedenfalls sieht alles, tagein, tagaus und nimmt uns mit. Ein Grün, ein Grau, ein Blau – vorbei.

Anne Bösenberg, 7.7.2022